„Offener Brief an unsere Schwesternvon Memduha Yağlı

Eine Schreibwerkstatt des MigrantinnenVerein Berlin e. V.

DaMigra
3 min readFeb 9, 2021

Ins Deutsche übersetzt von DaMigra e.V.
Originaltext in türkischer Sprache

Am schwierigsten ist es, mit dem Schreiben zu beginnen. Wichtig ist, dass man schon weiß, was man schreiben möchte. Eine andere Frage ist, sich zu entscheiden, mit welchem Satz man beginnen will. Vielleicht macht man nach ein paar Versuchen eine Pause, damit er sich über den Satz klar wird. Wenn dann ein guter Satz herauskommt, fängt man an, zu schreiben. Im Workshop wurden Abgabefristen uns allen gesetzt. Ich nehme an, dass die Texte innerhalb von 5 Tagen geschrieben und versandt werden sollten, und ich schickte meine Texte in der allerletzten Nacht vor der Abgabefrist. Meine Denkphase dauerte eine Weile. Ich konnte mich bis zum letzten Tag nicht entscheiden, was ich schreiben sollte.

Ich habe auch zwei Freundinnen* in dieser Denkphase geholfen. Ihre schienen mir einfacher zu sein. Es stellt sich heraus, dass alle so einfach aussehen, wenn man mit dem Schreiben fertig ist. Man sieht nicht die Schwierigkeiten dahinter.

Dass die Workshopleiterin* Zerrin erfahren ist, hat uns die Arbeit noch erleichtert. So konnten wir alle innerhalb einer Woche Briefe schreiben und uns gegenseitig vorlesen. Daraus ergaben sich sehr unterschiedliche, aber ebenso schöne und wertvolle Briefe.

Die Lebensbedingungen, die in unserer Gesellschaft Frauen* zu stehen, sind sehr anders. Vor allem, wenn es um migrantisch gelesene Menschen geht.

Es wäre keine Lüge, wenn ich sagen würde, dass unser Thema Gewalt gegen Frauen* unsere Arbeit erleichterte. Denn in der Gesellschaft, in der wir leben, egal in welchem Land, wird Gewalt gegen Frauen* durch Gesetze und traditionelle Gewohnheiten der patriarchalischen Gesellschaft bekräftigt, sogar angeheizt. Ganz gleich, wie fortschrittlich wir werden und von der industriellen zur technologischen Zeit übergehen, solange das System patriarchalisch ist, können die Mächtigen an den Schwachen Gewalt ausüben. Es gibt eine Ungleichheit der Rechte. Selbst wenn man nicht gerecht ist, kann man durch gesellschaftliche oder ökonomische Macht dieses Recht erhalten,

Am Ende des Workshops kam ich zu dieser Schlussfolgerung: “Warum sollte ich nicht schreiben?” Ich kann über das schreiben, was ich sehe, was ich durchmache. Warum nicht, oder?

Ich wünsche und hoffe, dass ihr es auch versucht.

Es gibt nichts, was wir nicht tun können.

Viel Glück.

Memduha Yagli

Kontext

Im Rahmen des Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November schrieb der MigrantinnenVerein Berlin e. V. Briefe an seine Schwestern.

Wir machen häusliche, physische, sexuelle, wirtschaftliche, psychische und digitale Gewalt gegen Frauen* sichtbar, indem wir die Auswirkungen der patriarchalischen Gesellschaft, der neoliberalen Wirtschaft und der rassistischen Diskriminierung von Frauen* aufzeigen. Wenn wir über unsere Erfahrungen mit Gewalt und unseren Kampf gegen Gewalt sprechen. Es verstärkt unsere Verbindung der Schwesternschaft, über unsere Erfahrungen mit Gewalt und gegen Gewalt zu sprechen. In diesem Zusammenhang trafen sich Frauen* am 14. und 21. November in einem von DaMigra e. V. organisierten Online-Workshop und schrieben Geschichten über ihren Kampf gegen Gewalt an Frauen*.

Der erste Workshopstag begann mit der Präsentation von DaMigra-Projektreferentin* Elif Cigdem Artan über die Istanbul-Konvention und die in der Konvention definierten Arten von Gewalt an Frauen*. In der anschließenden Diskussionsrunde, stellten Frauen* fest, dass physische Gewalt zwar zuerst in den Sinn kommt, wenn es von Gewalt gegen Frauen* die Rede ist , aber wirtschaftliche, psychische oder häusliche Gewalt nicht ausreichend angesprochen wird. Der Workshop setzte sich mit der Präsentation von Dr. Zerrin Akdenizli zum Thema Schreiben fort, während die Frauen* die Geschichten, die sie schreiben wollten, unter sich aufteilten. Der Workshop endete nach gemeinsamen Diskussionen über den Umgang mit dem Kampf gegen Gewalt an Frauen*.

Zwischen dem 14. und 21. November schrieben Frauen* mit Hingabe und harter Arbeit den ersten Entwurf ihrer Geschichten. Diese unter Dr. Zerrin Akdenizlis Redaktion neu arrangierten Entwürfe wurden beim zweiten Workshoptermin laut vorgelesen und die zur Veröffentlichung vorgenommenen Redaktionen wurden gemeinsam diskutiert.

Die Briefe, die von den Teilnehmerinnen* vom MigrantinnenVerein Berlin e. V. geschrieben wurden, sind auf der Webseite www.migrantinnen.net veröffentlicht. Jetzt sind sie auch als Booklet verfügbar.

Bitte geben wir die Briefe von Hand zu Hand weiter.

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DaMigra

Der Dachverband der Migrantinnenorganisationen. Für Chancengerechtigkeit, Gleichberechtigung, Gleichstellung von Frauen mit Migrations- und Fluchtgeschichte.