Wie es ist, Relikte zum Leben zu erwecken?

Ein Interview mit Hiba Jomaa im Rahmen des Internationalen Tages der Frauen* und Mädchen* in der Wissenschaft

DaMigra
4 min readFeb 11, 2021
Foto von Hiba Jomaa in weißem Kittel und Handschuhen, wie sie den Zustand einer Gipsfigur betrachtet.

Können Sie sich bitte vorstellen?

Mein Name ist Hiba Jomaa und komme aus Syrien.

Was haben Sie studiert und war das ihr Traum?

Ich bin sehr zufrieden mit meiner Arbeit, weil es mein Traum ist, den ich erfüllt habe.
Ich habe Archäologie studiert, danach studierte ich weiter: Restaurierung von Altertümern und Methoden zu ihrer Erhaltung.
Ich habe mich spezialisiert, unter anderem: Steinrestaurierung (Skulpturen und Gebäude), Freskenrestaurierung, Tonrestaurierung und Restaurierung von Gips aller Art.

Wie viel Jahre haben Sie in ihrem Beruf gearbeitet und wo?

Ich habe 15 Jahre in Syrien gearbeitet. Das meiste davon war in der antiken Stadt Palmyra. Ich war an der Ausgrabung von Altertümern mit vielen Auslandsmissionen beteiligt. Während dieser Zeit war ich in weiteren syrischen Städten und Orten unterwegs. Wegen des Krieges, des Umsturzes und der Besetzung durch ISIS, wegen der ständigen Bombenangriffe verließ ich meine Stadt 2015 und ging nach Damaskus. Dort arbeitete ich in der Generaldirektion für Antiquitäten und Museen, in der Abteilung für wissenschaftliche Restaurierungslabors. Ich wurde zur Expertin für die Restaurierung von Steinmaterial befördert. An der Fakultät für Archäologie habe ich als Tutorin Student*innen unterrichtet.

Wie ist das, wenn Sie Antiquitäten restaurieren, haben Sie das Gefühl, ihnen wieder Leben einzuhauchen?

Ich spreche immer mit den Stücken. Es geht darum, die Geschichte, die es erzählt, wieder sichtbar zu machen. Wenn ich ein Stück Archäologie in meinen Händen halte, sage ich ihm: „Du bist jetzt sicher, du wirst länger leben.“ Es ist sehr schön, das Relikt wieder „atmen“ zu lassen, es in Museen auszustellen. Ich habe immer das Gefühl, dass ich dem Stück geholfen habe, sich von einer Krankheit zu erholen.

Was ist einfacher: das Herstellen einer neuen Skulptur oder die Restaurierung eines antiken Artefakts?

Ein Artefakt zu schnitzen ist für eine Bildhauerin* nicht schwierig. Weil sie bereits weiß, was sie machen soll, und sie hat das Material, das zu der Skulptur passt.
Die Restaurierung antiker Skulpturen erfordert jedoch viel Vorbereitung: eine historische und chemische Untersuchung sowie die Untersuchung der äußeren Faktoren, die die Schäden verursacht haben. Eine Reihe chemischer Experimente sind dazu erforderlich, um die geeigneten Materialien für alle Stadien der Restauration auszuwählen. Es muss ein geeigneter Aktionsplan entwickelt werden. Denn der Wiederherstellungsprozess muss absolut fehlerfrei sein. Die Bildhauerin* formt ein Kunstwerk nach eigenen oder beauftragten Vorstellungen. Die Restauratorin* repariert Artefakte und Kunstwerke. Sie beseitigt die Schadensursachen und macht sie und die Geschichte, die sie erzählen, wieder sichtbar.

Welche Herausforderungen sehen Sie in Ihrem Beruf?

Da ich in einem Land gearbeitet habe, in dem nicht alle Restaurierungsmaterialien verfügbar sind, gibt es immer Schwierigkeiten, die den Wiederherstellungsprozess behindern, abbrechen oder verlangsamen können. Es gibt auch einen Mangel an Hilfsmitteln, die Reparaturmethoden erleichtern könnten. Manchmal ist die große Schwierigkeit, die richtige Entscheidung im Arbeitsplan zu treffen, auf die Art des Schadens oder das Vorhandensein verschiedener Manifestationen von Schadensarten zurückzuführen, so dass keine Fehlermöglichkeit besteht, da dies zu einem Verlust der Auswirkungen führen kann.

Ist es einmal passiert, dass Sie eine Antiquität falsch restauriert haben und das Ergebnis war, dass dieses Stück vollständig entsorgt werden musste?

Es ist nie vorgekommen, dass ich bei der Restaurierung eine falsche Entscheidung getroffen habe. Da ich die Arbeiten erst nach Vorbereitung der entsprechenden Materialien ausführe, die in Zukunft entfernbar sein müssen. Und wenn die Schadenssituation kompliziert ist, können wir chemische Analysen durchführen, um einen geeigneten Plan zu erstellen. Wenn der Zustand des Artefakts sehr beschädigt ist und ich Zweifel am Erfolg des Wiederherstellungsprozesses habe, kann eine Notfallschutzoperation durchgeführt werden. Ich mache mich erst an die eigentliche Arbeit, wenn ich mir des Erfolgs meiner Methode völlig sicher und überzeugt vom zu erwartenden Ergebnis sein kann. Das Gesetz akzeptiert keine Fehler. Artefakte dürfen auch bei falscher Restaurierung nicht zerstört oder entsorgt werden.

Haben Sie auch ein Hobby?

Neben der Archäologie interessiere ich mich sehr für Keramik. Vielleicht, weil es vor tausenden von Jahren die erste menschliche Industrie war. In Syrien habe ich viele Kunstwerke. Und ich habe an vielen Ausstellungen mit Freunden und Künstlern*innen mitgewirkt. Ich verbringe viel Zeit mit Ton außerhalb der Workshops.

Ein Blick in die Zukunft: welche Ambitionen oder Projekte haben Sie hier in Deutschland?

In Deutschland genieße ich jetzt erstmal Freiheit und Sicherheit. Mein großer Wunsch ist es, weiterhin auf dem Gebiet der archäologischen Restaurierung zu arbeiten. Deutsche Methoden der archäologischen Restaurierung zu studieren und alle neuen archäologischen und chemischen Forschungen zu verfolgen, diesen Wunsch möchte ich mir erfüllen. Auch möchte ich mich weiterhin der Kunst und Keramik widmen, denn ohne das kann ich nicht leben. Ich hoffe, dass das Leben in Deutschland mich nicht im Stich lässt, so wie ich mich von meinem Land im Stich gelassen gefühlt habe.

Der 11. Februar ist der Internationale Tag der Frauen* und Mädchen* in der Wissenschaft. Ein Wort bitte an die Frauen* und Mädchen*, die ihren Platz in der Wissenschaft einnehmen wollen?

Am Internationalen Tag der Forscherinnen* wünsche ich allen Frauen* und Mädchen* eine Welt ohne Schwierigkeiten, in der sie ihre beruflichen Wünsche erfüllen. Ich hoffe, dass sie den freien Willen haben, Entscheidungen in ihrer Arbeit und ihrem Leben selbstbestimmt zu treffen. Das Leben bringt einer Frau* Erfolg, die ihrem Land, ihrer Arbeit und ihrer Menschlichkeit treu bleibt. Wir leben nur einmal!

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DaMigra

Der Dachverband der Migrantinnenorganisationen. Für Chancengerechtigkeit, Gleichberechtigung, Gleichstellung von Frauen mit Migrations- und Fluchtgeschichte.